Between Bridges
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Philip Wiegard
In The Name Of Talent
22. Juni – 28. Juli 2018
Mittwoch – Samstag, 12 – 18 Uhr
Nicht selten werden die Produktionsverhältnisse im Kunstbereich zitiert, wenn von der Flexibilisierung in der neoliberalen Arbeitswelt die Rede ist. Kultursoziologen zufolge leben wir bereits nicht mehr im industriellen, sondern schon im „kulturellen Kapitalismus“. Die Folgen für die Berufswelt sind tiefgreifend: „Standen in der alten Industriegesellschaft eindeutige formale Qualifikationen und Leistungsanforderungen im Vordergrund, so geht es in der neuen Wissens- und Kulturökonomie darum, dass die Arbeitssubjekte ein außergewöhnliches „Profil“ entwickeln.“ (A. Reckwitz) Arbeiternehmer mit profanen Routinetätigkeiten gelten also in solch einer Wirtschaft wenig. Paradoxerweise aber erfahren die Kinder, die in den Workshops des Berliner Künstlers Philip Wiegard Tapeten im Kleisterpapier-Verfahren herstellen, Anerkennung nicht über den künstlerischen Ausdruck, sondern durch den Umstand dass sie für ihre Arbeit – fast wie in der Erwachsenenwelt – einen Stundenlohn erhalten. Die Profilierung als Co- Autor*innen einer künstlerischen Arbeit bleibt ihnen aufgrund der Assistent*innenrolle hingegen verwehrt. Ihre Namen bleiben ungenannt, lediglich die Spuren ihrer Hände lassen sich an manchen Stellen im Muster herauslesen. So scheinen die malerischen Tapetenbahnen Wiegards auf bestimmte kulturelle oder gesellschaftlicher Muster zu zielen: Der Umstand etwa, dass Erwachsene heute sein wollen wie Kinder – während Kinder immer schneller erwachsen werden. Oder die Tatsache, dass auch im „kulturellen Kapitalismus“ der Transfer von kulturellem Kapital in Geld-Kapital weiterhin nur einem verschwindend geringem Bruchteil der Marktteilnehmer*innen vorbehalten bleibt.
Anleitungen zur Herstellung so genannter Kleisterpapiere sind heute in Bastelbüchern oder im Netz als Youtube- Tutorials weit verbreitet. Früher waren diese handgemachten Buntpapiere bei Druckern und Buchbindern populär, die sie bei der Buchherstellung zum Schmuck von Einbänden oder als Vorsatzpapiere verwendeten. Anfang des 19. Jahrhunderts kamen sie aus der Mode. Endgültig verdrängt wurden sie im Zuge der industriellen Revolution. Bei der Produktion von Kleisterpapieren wird ein angefeuchtetes Blatt Papier mit Kleistermasse und Farbe bestrichen.
Anschließend werden mit der einfachen Hand, oft auch mit Werkzeugen wie Kämmen oder Spachteln mittels Verdrängungstechnik Muster auf dem gestrichenen Farbgrund erzeugt.
Seit ein paar Jahren beschäftigt sich Philip Wiegard mit einer historischen Sonderform der Kleisterpapiere, den sogenannten „Herrnhuter Kleisterpapieren“, deren barocke Räumlichkeit bis heute ihre Betrachter*innen zu faszinieren vermag: die wolkig oder floral wirkenden Muster scheinen sich mitunter auszustülpen wie innere Organe. Im Fall von Wiegard wird das traditionelle Handwerk in den Bereich der Malerei transferiert. Wiegard koppelt die Reproduktion der Buntpapier-Ästhetik zudem mit eigentümlichen, von ihm gestalteten Produktionsabläufen, deren hybrider Charakter mit der heute generell immer schwerer zu ziehenden Grenze zwischen Spiel und Arbeit zusammenzuhängen scheint. Vielleicht ließen sie sich als temporär-theatralische Arbeitsgemeinschaften oder „performative Workshops“ umschreiben. Der Künstler lässt neuartige Vliestapete von der Rolle ausschließlich von Grundschul-Kindern bemalen, was seiner Arbeit ein soziales und kritisches Element hinzufügt. Denn die sich ständig wiederholenden Produktionsabläufe lassen – zumindest von der Idee her – sowohl an Choreografien aus repetitiven Körperbewegungen wie auch an arbeitsteilige Manufakturbetriebe oder ein früh-fordistisches Fließband denken. In der neuen Datenökonomie unserer Gegenwart zählt der menschliche Spieltrieb generell zu den stark ausgebeuteten Ressourcen. Eine naheliegende Assoziation wäre auch ein zeitgenössisches Groß-Atelier, dessen Produktion von einer Vielzahl von mehr oder weniger spezialisierten Assistent*innen am Laufen gehalten wird. Das schillernde Wort „Performance“ kann je nach Kontext, also Kunst- oder Arbeitswelt ganz verschiedene, womöglich gegensätzliche Bedeutungen annehmen. Was aber bedeutet es, wenn solche Kunst-, Spiel- und Arbeitslogik prozesshaft in eins fallen? Das Gesellschaftliche wird in der abstrakten Form plastisch.
Text von Kito Nedo